BGH v. 12.3.2025 - IV ZR 88/24
Verjährung des Pflichtteilsanspruchs bei sorgfaltswidriger Unkenntnis des Bestehens der Vaterschaft
Für die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist auch dann die Regelung in § 2317 Abs. 1 BGB maßgeblich, wenn der Pflichtteilsberechtigte zum Zeitpunkt des Erbfalls aufgrund der Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 5 BGB an einer erfolgversprechenden Geltendmachung des Anspruchs gehindert ist. Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB erfordert beim Pflichtteilsanspruch des nichtehelichen Kindes nach seinem Vater auch die Kenntnis von der wirksamen Anerkennung bzw. der rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft. Gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB beginnt die Verjährungsfrist eines entstandenen Anspruchs aber auch dann, wenn die den Anspruch begründenden Umstände und die Person des Schuldners dem Gläubiger nur deshalb nicht bekannt sind, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt.
Der Sachverhalt:
Die Klägerin macht gegen den Beklagten einen Pflichtteilsanspruch im Wege der Stufenklage geltend. Sie ist die nichteheliche Tochter des am 5.8.2017 verstorbenen Erblassers. Mit Testament vom 7.2.2017 hatte der Erblasser den Beklagten - seinen eingetragenen Lebenspartner - zu seinem Alleinerben eingesetzt. Die Klägerin, die im Jahr 2017 Kenntnis vom Erbfall erlangte, leitete am 5.5.2022 ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren ein. Mit Beschluss des AG vom 30.6.2022, der im selben Jahr in Rechtskraft erwuchs, wurde festgestellt, dass die Klägerin die leibliche Tochter des Erblassers ist.
Die Klägerin forderte den Beklagten erfolglos zur Auskunftserteilung auf. Im Jahr 2023 erhob sie eine Stufenklage. Der Beklagte beruft sich auf die Einrede der Verjährung.
Das LG wies die Klage ab. Das OLG verurteilte den Beklagten auf der ersten Stufe unter Zurückweisung des Antrags auf Beifügung von Belegen zur Auskunftserteilung und Wertermittlung und verwies das Verfahren hinsichtlich des Zahlungsantrags an das LG zurück. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der gegebenen Begründung durfte das OLG eine Verjährung der Ansprüche der Klägerin auf Auskunft und Wertermittlung nicht verneinen und einen Anspruch insoweit nicht zuerkennen.
Zu Recht wendet sich die Revision dagegen, dass das OLG die Voraussetzungen von § 195, § 199 Abs. 1, § 214 Abs. 1 BGB verneint hat. Der Pflichtteilsanspruch aus § 2303 Abs. 1 BGB sowie die Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche aus § 2314 Abs. 1 BGB unterliegen der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB. Gem. § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (Nr. 1) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (Nr. 2). Der Pflichtteilsanspruch ist gem. § 2317 Abs. 1 BGB, der die Entstehung des Pflichtteils an den Erbfall anknüpft, am 5.8.2017 entstanden. Entgegen der Auffassung des OLG führt der Umstand, dass die Vaterschaft des Erblassers erst postmortal im Jahr 2022 rechtskräftig gerichtlich festgestellt worden ist, im Zusammenwirken mit der Vorschrift des § 1600d Abs. 5 BGB nicht dazu, dass der Anspruch im Jahr 2022 entstanden ist.
Gem. § 1600d Abs. 5 BGB können die Rechtswirkungen der Vaterschaft erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden. Die Bestimmung enthält eine Rechtsausübungssperre. Aus ihr folgt, dass auch der auf die Vaterschaft eines Erblassers gestützte Pflichtteilsanspruch in den Fällen des § 1600d BGB erst mit wirksamer Feststellung derselben mit Erfolg geltend gemacht werden kann. Dies führt aber nicht dazu, dass der Zeitpunkt der Entstehung des Pflichtteilsanspruchs bis zur Rechtskraft der postmortalen Vaterschaftsfeststellung hinausgeschoben ist. Eine derartige Rechtswirkung ergibt sich insbesondere nicht in Anlehnung an unterhaltsrechtliche Grundsätze. Im Unterhaltsrecht ist anerkannt, dass die Verjährungsfrist für den Unterhaltsanspruch des nichtehelichen Kindes nicht vor der rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft in Lauf gesetzt werden kann. Zum Teil wird dies auf § 205 BGB gestützt bzw. ist aus § 202 BGB a.F. abgeleitet worden. Nach anderer Ansicht ist der Unterhaltsanspruch bis zur rechtskräftigen Vaterschaftsfeststellung noch nicht gem. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden. Selbst wenn man hinsichtlich unterhaltsrechtlicher Ansprüche letzterer Ansicht folgen würde, kann diese Sichtweise nicht auf die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs übertragen werden.
Für den Entstehungstatbestand des § 2317 Abs. 1 BGB ist zwar - anders als für denjenigen des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB - irrelevant, ob der Berechtigte den Anspruch geltend machen und notfalls im Wege der Klageerhebung durchsetzen kann. Dies hat aber nicht zur Folge, dass der Anwendungsbereich des § 2317 Abs. 1 BGB - etwa im Wege einer teleologischen Reduktion - für die Frage, wann der Anspruch i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden ist, dann nicht eröffnet ist, wenn der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs die Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 5 BGB entgegensteht. Denn die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs hängt in diesen Fällen nicht nur von der Entstehung des Anspruchs, sondern auch von der Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten und damit auch von der Vaterschaftsfeststellung ab.
Die Klägerin hatte erst mit rechtskräftigem Abschluss des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens Kenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners. Im Fall des Pflichtteilsanspruchs bedarf es auf Seiten des Pflichtteilsberechtigten der Kenntnis des Erbfalls, der ihn beeinträchtigenden Verfügung sowie der familiären Verbindung zum Erblasser, aus der sich ein Pflichtteilsrecht ergibt. Hier war der Klägerin zwar bereits im Jahr 2017 bekannt, dass der Erblasser verstorben war und er den Beklagten wirksam durch ein Testament zu seinem Alleinerben eingesetzt hatte. Sie hatte jedoch keine Kenntnis von ihrer Abstammung, denn der Erblasser, der zum Zeitpunkt der Geburt nicht mit ihrer Mutter verheiratet war, hatte die Vaterschaft weder anerkannt (§ 1592 Nr. 2 BGB) noch war seine Vaterschaft nach § 1600d BGB oder § 182 Abs. 1 FamFG gerichtlich festgestellt (§ 1592 Nr. 3 BGB).
Da § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB die grob fahrlässige Unkenntnis der Kenntnis gleichstellt, beginnt die Verjährungsfrist eines entstandenen Anspruchs aber auch dann, wenn die den Anspruch begründenden Umstände und die Person des Schuldners dem Gläubiger nur deshalb nicht bekannt sind, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Hier wäre der Pflichtteilsanspruch der Klägerin angesichts der dreijährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB) und der Klageerhebung im Jahr 2023 verjährt, wenn der Klägerin vor dem 1.1.2020 grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen wäre, weil sie das gerichtliche Feststellungsverfahren nach § 1600d Abs. 1 BGB nicht schon früher betrieben und damit ihre Kenntnis von der Vaterschaft des Erblassers hinausgeschoben hat. Die Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen und die Abgrenzung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit obliegen im Einzelfall in erster Linie dem Tatrichter. Da das OLG die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht geprüft hat, sind dem Berufungsurteil schon keine hinreichenden Feststellungen zu dieser Frage zu entnehmen.
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