BGH v. 18.12.2024 - VII ZB 30/23
Klauselerteilungsverfahren: Evidenz des Besitzrechts eines Dritten
Im Klauselerteilungsverfahren nach §§ 724 ff. ZPO können für ein gem. § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG zu berücksichtigendes Besitzrecht eines Dritten nur solche Umstände Berücksichtigung finden, nach denen dieses Besitzrecht für das Klauselerteilungsorgan ohne jeden vernünftigen Zweifel erkennbar, also evident ist.
Der Sachverhalt:
Die Antragsteller wenden sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Versagung der Erteilung einer Vollstreckungsklausel zur Räumungsvollstreckung gegen den Antragsgegner aus einem Zuschlagsbeschluss. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind Geschwister. Sie waren in Erbengemeinschaft nach ihrer Mutter (Erblasserin) Eigentümer eines Hausgrundstücks in Bremen. In dem auf Antrag des Beteiligten zu 2) durchgeführten Teilungsversteigerungsverfahren erhielten die Antragsteller am 14.9.2022 den Zuschlag.
Die Antragsteller beantragten am 17.2.2023 die Erteilung einer Ausfertigung des Zuschlagsbeschlusses mit einer Vollstreckungsklausel zur Räumungs-und Herausgabevollstreckung gegen den das Hausgrundstück bewohnenden Antragsgegner, den Ehemann der Beteiligten zu 1). Der Antragsgegner widersprach der Klauselerteilung unter Hinweis auf die von ihm mit Schreiben vom 12.8.2022 vorgelegte Fotokopie eines angeblich zwischen ihm und der Erblasserin am 4.5.2003 geschlossenen Mietvertrags über die Immobilie, der von den Antragstellern nicht wirksam gekündigt worden sei.
Die Rechtspflegerin des AG erteilte den Antragstellern die beantragte Klausel unter dem 29.3.2023. Hiergegen legte der Antragsgegner Erinnerung ein, die das AG durch richterlichen Beschluss vom 10.5.2023 zurückwies. Zur Begründung nahm es auf eine Verfügung der Rechtspflegerin vom 8.5.2023 Bezug, in der ausgeführt ist, es bestehe aufgrund dort näher dargestellter Umstände die realistische Möglichkeit, dass der behauptete Mietvertrag nur mit dem Ziel der Verhinderung der Räumung vorgelegt worden sei. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners erklärte das LG die Zwangsvollstreckung aus der erteilten Vollstreckungsklausel mit Beschluss vom 30.10.2023 für unzulässig.
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsteller hob der BGH den Beschluss des LG auf und wies die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des AG zurück.
Die Gründe:
Mit der vom LG gegebenen Begründung kann die Zwangsvollstreckung aus der den Antragstellern erteilten Vollstreckungsklausel nicht wegen eines Rechts des Antragsgegners i.S.v. § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG für unzulässig erklärt werden.
Gem. § 93 Abs. 1 Satz 1 ZVG findet aus dem Beschluss, durch welchen der Zuschlag erteilt wird, gegen den Besitzer des Grundstücks die Zwangsvollstreckung auf Räumung und Herausgabe statt. Nach § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG soll die Zwangsvollstreckung nicht erfolgen, wenn der Besitzer augrund eines Rechts besitzt, das durch den Zuschlag nicht erloschen ist. Ein solches Recht kann dem Mieter nach Maßgabe von § 57 ZVG zustehen. Ist ihm das Grundstück überlassen, findet die Vorschrift des § 566 BGB i.V.m. § 578 Abs. 1 BGB Anwendung. Dies setzt allerdings voraus, dass es noch vor der Versteigerung zur Überlassung des Grundstücks durch den Vermieter in Erfüllung seiner Pflichten aus § 535 Abs. 1 BGB gekommen ist; die Besitzeinräumung muss gerade im Hinblick auf das Mietverhältnis erfolgt sein.
Entgegen der Auffassung des LG lässt sich ein im Klauselerteilungsverfahren nach § 724 ff. ZPO zu berücksichtigendes Besitzrecht des Antragsgegners i.S.v. § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG i.V.m. § 57 ZVG weder auf die Fotokopie des angeblichen Mietvertrags mit der Erblasserin vom 4.5.2003 noch auf die diesbezügliche eidesstattliche Versicherung des Antragsgegners vom 12. September 2022 stützen. Im Klauselerteilungsverfahren nach §§ 724 ff. ZPO können für ein gem. § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG zu berücksichtigendes Besitzrecht eines Dritten nur solche Umstände Berücksichtigung finden, nach denen dieses Besitzrecht für das Klauselerteilungsorgan ohne jeden vernünftigen Zweifel erkennbar, also evident ist. Angesichts dieser Beschränkung kommt die Berücksichtigung eines Besitzrechts gem. § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG nur in Betracht, wenn sein (Fort-)Bestand zum Zuschlagszeitpunkt der Entscheidung über die Erteilung der beantragten Klausel als evident zugrunde gelegt werden kann.
Gemessen hieran ist die Annahme des LG, der Erteilung der Vollstreckungsklausel stünde ein nach § 93 Abs. 1 Satz 2 ZVG zu berücksichtigendes Besitzrecht des Antragsgegners aus dem angeblichen Mietvertrag mit der Erblasserin vom 4.5.2003 entgegen, rechtsfehlerhaft. Dass der Antragsgegner, wie von ihm behauptet, am 4.5.2003 einen bei Zuschlag fortbestehenden Mietvertrag mit der Erblasserin wirksam abgeschlossen hat, ist weder unstreitig noch evident. Allein die Vorlage eines Mietvertrags reicht für die Annahme eines evidenten Besitzrechts nicht aus. Vielmehr hat der Mieter weiter darzutun und mit geeigneten Unterlagen, beispielsweise durch Vorlage von Kontoauszügen über Mietzahlungen, zu belegen, dass der Vermieter ihm in Erfüllung der hierdurch übernommenen Verpflichtung gem. § 535 Abs. 1 BGB vor Zuschlag den Gebrauch überlassen hat und dieses Mietverhältnis fortbesteht.
Dem ist der Antragsgegner nicht nachgekommen. Hier bestehen bereits am Abschluss eines Mietverhältnisses zum 1.5.2003 erhebliche Zweifel. So sind ausweislich des - überdies nur in Fotokopie vorgelegten - Mietvertrags als Mietzins lediglich ein symbolischer Betrag vereinbart worden sowie Hilfs- und Unterstützungsleistungen zugunsten der Erblasserin, die zusammengenommen weit hinter dem objektiven Mietwert der sich über zwei Etagen erstreckenden Mieträumlichkeiten zurückbleiben. Der Antragsgegner hat zudem Mietzahlungen an die Erblasserin und die Erbringung der vereinbarten Hilfsleistungen sowie nach Ableben der Erblasserin - Mietzahlungen zugunsten der Erbengemeinschaft weder konkret dargelegt noch durch geeignete Unterlagen belegt. Die eidesstattliche Versicherung des Antragsgegners vom 12.9.2022, wenn ihr überhaupt inhaltlich zu folgen wäre, enthält hierzu ebenfalls keine konkreten Angaben. Zudem genügt die bloße Glaubhaftmachung eines behaupteten Besitzrechts für die Annahme von Evidenz nicht.
Mehr zum Thema:
Kommentierung | ZPO
§ 724 Vollstreckbare Ausfertigung
Seibel in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023
Kommentierung | ZPO
§ 771 Drittwiderspruchsklage
Herget in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023
Beratermodul Zöller Zivilprozessrecht
Die perfekte Basisausstattung zum Zivilprozessrecht finden Praktiker in diesem Modul. Mit neuen Kommentierungen zu digitalen Themen und topaktuellen Annotationen zu Gesetzesänderungen und wichtiger neuer Rechtsprechung. Inklusive LAWLIFT Dokumentautomation Zivilprozessrecht. Nutzen Sie ausgewählte Dokumente zur Bearbeitung mit LAWLIFT. Hier eingearbeitet die ersten Online-Aktualisierungen im Zöller zur Videokonferenztechnik (25.7.24). 4 Wochen gratis nutzen!