Otto Schmidt Verlag

LG Lübeck v. 19.12.2024, 7 T 324/23

Betreuungsrechtsreform 2023: Teilnahme des Verfahrenspfleger an persönlicher Anhörung zwingend

Der durch die Betreuungsrechtsreform 2023 eingefügte § 319 Abs. 2 S. 2 FamFG erfordert, dass ein hinzugezogener Verfahrenspfleger in der Regel an der persönlichen Anhörung teilnehmen muss. Nicht mehr ausreichend ist, dass das Betreuungsgericht dem Verfahrenspfleger lediglich eine Möglichkeit zur Teilnahme verschafft.

Der Sachverhalt:
Der Antragsteller hatte am 28.7.2023 beantragt, die vorläufige freiheitsentziehende Unterbringung des Betroffenen anzuordnen. Dem Antrag war eine aktuelle ärztliche Stellungnahme der Amtsärztin beigefügt. Zugleich hat er unter Bezugnahme auf § 11 PsychHG behördlich die vorläufige Unterbringung in einem Klinikum angeordnet.

Das AG hat den Betroffenen in Anwesenheit des diensthabenden Arztes am Abend des 28.07.2023 persönlich angehört. Die Verfahrenspflegerin sei über den Anhörungstermin informiert worden, habe aber an diesem nicht teilgenommen. Im Rahmen der persönlichen Anhörung hat der diensthabende Arzt ein ärztliches Zeugnis abgegeben.Mit Beschluss vom 28.7.2023 hat das AG die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in einem geeigneten Krankenhaus längstens bis zum 4.8.2023 angeordnet.

Der Betroffene hat unmittelbar im Anschluss an die mündliche Bekanntgabe des Beschlusses am 28.7.2023 Beschwerde zu richterlichem Protokoll eingelegt. Nach Umstellung der Antragstellung unter Berücksichtigung der ausgelaufenen Unterbringungsfrist auf einen Feststellungsantrag (§ 62 FamFG) war die Beschwerde des Betroffenen vor dem LG erfolgreich.

Die Gründe:
Der Beschluss des AG vom 28.7.2023 über die Anordnung der vorläufigen Unterbringung war rechtswidrig und hat den Betroffenen in seinen Rechten, namentlich in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 GG), verletzt.

Der angefochtene Beschluss beruhte auf einem Verfahrensfehler, weil die persönliche Anhörung des Betroffenen entgegen der Sollvorschrift des § 319 Abs. 2 S. 2 FamFG (i.V.m. § 331 S. 1 Nr. 4 FamFG) nicht in Anwesenheit eines Verfahrenspflegers erfolgt war. Nach dieser im Zuge der Betreuungsrechtsreform zum 1.1.2023 in Kraft getretenen Regelung soll die persönliche Anhörung des Betroffenen in Anwesenheit eines nach § 317 FamFG bestellten Verfahrenspflegers erfolgen. Die Neuregelung ist nicht nur so zu verstehen, dass ein Betreuungsgericht einem bestellten Verfahrenspfleger eine Teilnahme ermöglichen muss und dass der geladene Verfahrenspfleger (frei) entscheiden kann, ob er teilnimmt, sondern sie ist vielmehr so zu verstehen, dass der Verfahrenspfleger in der Regel an der Anhörung teilnehmen muss.

In der Literatur wird teilweise ohne nähere Auseinandersetzung mit dem Wortlaut des neu eingeführten § 319 Abs. 2 S. 2 FamFG unter Hinweis auf die bisherige BGH-Rechtsprechung weiterhin die Auffassung vertreten, dass der vom Anhörungstermin in Kenntnis gesetzte Verfahrenspfleger selbst entscheiden dürfe, ob er an dem Anhörungstermin teilnehme. Nach Auffassung der Beschwerdekammer schließt der Wortlaut der Regelung des § 319 Abs. 2 S. 2 FamFG zwar nicht völlig aus, die vor der Anordnung einer vorläufigen Unterbringungsmaßnahme gem. § 331 S. 1 Nr. 4 FamFG notwendige persönliche Anhörung des Betroffenen in Abwesenheit eines nach § 317 FamFG bestellten Verfahrenspflegers vorzunehmen. Die Ausgestaltung der Norm bringt allerdings zum Ausdruck, dass die persönliche Anhörung des Betroffenen in der Regel im Beisein eines Verfahrenspflegers zu erfolgen hat. Es steht nicht im freien Belieben, auf eine Teilnahme des Verfahrenspflegers an der Anhörung zu verzichten.

Auch wenn das AG zwar den Betroffenen persönlich angehört und der Verfahrenspflegerin, die die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten soll, Gelegenheit gegeben hatte, an der Anhörung teilzunehmen, die Verfahrenspflegerin jedoch nicht teilgenommen hat, ohne dass die Entbehrlichkeit einer Teilnahme der Verfahrenspflegerin näher begründet worden ist, stellte dies einen Verfahrensmangel dar, der derart schwer wog, dass der angeordneten Unterbringungsmaßnahme insgesamt die Beschaffenheit einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung anhaftete. Des Weiteren lag das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen vor.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.01.2025 16:38
Quelle: Landesrechtsprechung Schleswig-Holstein

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