OLG Saarbrücken v. 3.12.2024, 6 UF 64/24
Verlängerter Umgangsausschluss nach häuslicher Gewalt
Vom Kind miterlebte häusliche Gewalt eines seiner Elternteile gegen seinen anderen ist bei der Entscheidung über das Umgangsrecht jenes Elternteils mit dem Kind - zumal mit Blick auf die sog. Istanbul-Konvention - zu berücksichtigen. Der zweitinstanzlichen Verlängerung eines im ersten Rechtszug erkannten Umgangsausschlusses steht das Verschlechterungsverbot nicht entgegen.
Der Sachverhalt:
Aus der von 1993 bis 2022 bestehenden Beziehung des heute 59-jährigen Beschwerdeführers, der italienischer Staatsbürger ist, und der Beteiligten – Deutsche –, die weder miteinander verheiratet waren noch sind, ging – neben einer nicht verfahrensbeteiligten, bereits volljährigen Tochter – der heute 11-jährige Sohn hervor. Der Beschwerdeführer hat die Vaterschaft anerkannt.
Am 24.3.2023 wurde der Beschwerdeführer u.a. wegen Körperverletzung in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Bedrohung, sowie Beleidigung, versuchter Nötigung – insoweit jeweils zum Nachteil der Mutter – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt. In einem vor dem Familiengericht geführten Gewaltschutz-Eilverfahren haben die Eltern am 14.6.2023 einen gerichtlich bestätigten Vergleich geschlossen, in dem sie sich u.a. wechselseitig zur Einhaltung eines umfassenden Kontakt- und Näherungsverbots verpflichteten. Durch Beschluss vom 11.1.2024 wurde der Mutter das umfassende Sorgerecht übertragen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde verworfen. Dem Beschwerdeführer wurde zudem untersagt, bis zum 27.3.2025 mit seinem Sohn in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen.
Mit seiner Beschwerde erstrebte der Vater eine gestufte Umgangsregelung an. Etwaigen Ängsten des Kindes – auf das von der Mutter, die es in einen Loyalitätskonflikt treibe, manipulativ eingewirkt werde – müsse durch begleiteten Umgang sowie therapeutische Maßnahmen zugunsten des Kindes und nicht durch einen Umgangsausschluss entgegengewirkt werden.
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Gründe:
Zu Recht hat das Familiengericht das väterliche Umgangsrecht gem. § 1684 Abs. 4 S. 2 BGB ausgeschlossen.
Zwar gebietet das Elternrecht auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten stets die Prüfung, ob als – im Vergleich zu einem Ausschluss des Umgangsrechts – milderes Mittel ein begleiteter Umgang des Kindes mit dem umgangsberechtigten Elternteil in Betracht kommt. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Anordnung nur begleiteten Umgangskontakts einen erheblichen Eingriff sowohl in das durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG garantierte Elternrecht als auch in das Recht des Kindes auf Umgang mit dem nicht betreuenden Elternteil darstellt. Denn der Umgang zwischen dem nicht betreuenden Elternteil und dem Kind kann seinen Zweck grundsätzlich nur bei einem unbeaufsichtigten und der Beobachtung durch Dritte nicht ausgesetzten persönlichen Kontakt erreichen.
Ist allerdings festzustellen, dass der Umgangsberechtigte Gewalt gegen den anderen Elternteil ausgeübt hat, müssen bei der Entscheidung über den Umgang – auch wegen Art. 31 der sog. Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11.5.2011, BGBl. 2017 II, S. 1026) – die fortbestehenden Belastungen durch die erlebte Gewalt in der Vergangenheit sowie die Gefahren wegen andauernder Angst und Bedrohung berücksichtigt werden. Vom Kind miterlebte Gewalt seines einen gegen seinen anderen Elternteil wirkt sich in Form psychischer Gewalt direkt auch auf das Kind aus. Es ist abhängig von demjenigen, der es betreut und versorgt, und identifiziert sich mit ihm. Deswegen erlebt das Kind Gewalt gegen den betreuenden Elternteil auch als Bedrohung gegen sich selbst; sein eigenes Stresssystem reagiert intensiv.
Bevor in Fällen vom Kind miterlebter schwerer häuslicher Gewalt Umgang – unbegleitet, aber auch begleitet – in Betracht kommt, muss zum einen das Kind dazu bereit sein, den Täter wieder zu sehen, zum anderen muss verlässlich geklärt sein, ob sich der nachweislich gewalttätige Elternteil nicht nur zu seinen Taten bekannt, sondern auch in tragfähiger Weise Verantwortung dafür übernommen hat, insbesondere, ob er Wege erarbeitet hat, wie er dem Kind sein Bedauern über die ihm zugefügte Belastung zum Ausdruck bringen und sich adäquat im Umgang mit ihm verhalten kann.
Dem Senat erschien bei Wägung aller obwaltenden Einzelfallgegebenheiten – auch des unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten relevanten Umstandes, dass der Eingriff in das Elternrecht des Vaters mit zunehmender Dauer gewichtiger wird – eine (weitere) Verlängerung um das von der Sachverständigen empfohlene Jahr unabdingbar. Diese Zeit benötigt der Sohn mindestens, um sich perspektivisch wieder auf seinen Vater einlassen zu können. Ob der Umgang über diesen Zeitraum hinaus wird ausgeschlossen werden müssen, vermag der Senat derzeit nicht zuverlässig zu beurteilen. Der zweitinstanzlichen Verlängerung eines im ersten Rechtszug erkannten Umgangsausschlusses steht das Verschlechterungsverbot nicht entgegen.
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