Otto Schmidt Verlag

OLG München v. 3.12.2024 - 33 W 1034/24 e

Kein Anwesenheitsrecht des Pflichtteilsberechtigten bei Errichtung des notariellen Nachlassverzeichnisses durch den Notar

Das notarielle Nachlassverzeichnis ist eine Tatsachenbescheinigung des Notars über seine Ermittlungen und Wahrnehmungen. Sie wird durch Errichtung einer öffentlichen Zeugnisurkunde über die vom Notar festgestellten Tatsachen errichtet; eine Verlesung findet nicht statt. Der Pflichtteilsberechtigte hat an einer Anwesenheit bei diesem Vorgang grundsätzlich kein Interesse. Das Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten bei der Aufnahme des amtlichen Verzeichnisses durch einen Notar besteht nicht bei einzelnen notariellen Ermittlungshandlungen. Der Pflichtteilsberechtigte hat grundsätzlich keinen Anspruch, die vom Notar im Rahmen der Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses auszuwertenden Unterlagen einzusehen.

Der Sachverhalt:
Der Antragsteller nimmt die Antragsgegnerin (Erbin) im Wege der Zwangsvollstreckung auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses in Anspruch. Die Erbin wurde durch rechtskräftiges Teil-Anerkenntnisurteil des LG von Juli 2023 zur Auskunftserteilung über den Nachlass des 2019 verstorbenen Erblassers durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses verurteilt.

Mit Schriftsatz vom 9.10.2023 beantragte der Antragsteller, gegen die Erbin ein Zwangsgeld zu verhängen, weil ein notarielles Nachlassverzeichnis noch nicht vorgelegt worden war. Im Februar 2024 verhängte das LG ein entsprechendes Zwangsgeld gegen die Erbin i.H.v. 1.000 €, ersatzweise Ordnungshaft von 10 Tagen. Auf die Beschwerde der Erbin hob das LG diesen Beschluss mit der Begründung auf, dass jedenfalls durch das zwischenzeitlich vorgelegte Nachlassverzeichnis vom 11.10.2023 und einzelne erstellte Nachträge der Anspruch des Antragstellers erfüllt worden sei.

Dagegen richtet sich nunmehr der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er seinen Zwangsgeldantrag weiterverfolgt. Er ist im Wesentlichen der Ansicht, dass sein Zuziehungsrecht bei der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses verletzt worden sei, weswegen diesem allein deswegen keine Erfüllungswirkung zukomme. Bei dem Termin im Notariat vom 10.5.2023, bei dem er vertreten war, habe es sich lediglich um ein informatorisches Gespräch gehandelt. Im Übrigen läge durch die einzelnen Nachträge kein übersichtliches Verzeichnis vor; die Notarin habe zudem keine eigene Ermittlungstätigkeit entfaltet und den Zeitpunkt des Vollzugs von Schenkungen nicht ermittelt.

Das LG hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 24.6.2024 nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Die sofortige Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Soweit der Antragsteller rügt, dass sein tituliertes und geltend gemachtes Anwesenheitsrecht bei der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses verletzt worden sei, weshalb diesem keine Erfüllungswirkung zukommen könne, trifft dies nicht zu.

Der Erfüllung des titulierten Anspruchs steht u.a. nicht entgegen, dass der Antragsteller über den Termin vom 10.5.2023 hinaus nicht (erneut) von der Notarin zugezogen worden ist. In Rechtsprechung und Schrifttum ist bislang nicht abschließend geklärt, wie das Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten bei der Errichtung des notariellen Nachlassverzeichnisses ausgestaltet ist. Soweit in Rechtsprechung und Schrifttum (mitunter stillschweigend) davon ausgegangen wird, dass es sich insoweit um ein physisches Anwesenheitsrecht des Pflichtteilsberechtigten bei der notariellen Tätigkeit handelt, vermag der Senat weder in den Gesetzesmaterialien noch im Wortlaut, dem Telos oder der Systematik der Norm einen Anhaltspunkt hierfür zu erkennen. Letztlich bedarf diese Frage vorliegend allerdings keiner abschließenden Entscheidung, weil der Antragsteller (durch seinen Vertreter) bei einem notariellen Termin zugegen war und ein darüberhinausgehendes Anwesenheitsrecht jedenfalls im vorliegenden Fall nicht bestand.

Dass der Antragsteller bei dem Termin, an dem das notarielle Nachlassverzeichnis förmlich errichtet wurde, nicht zugegen war, steht der Erfüllungswirkung des vorliegenden Nachlassverzeichnisses nicht entgegen. Das notarielle Nachlassverzeichnis selbst ist keine Willenserklärung des Erben oder des Notars, sondern eine Tatsachenbescheinigung über die Ermittlungen und Wahrnehmungen des Notars gem. § 36 BeurkG, die durch Errichtung einer öffentlichen Zeugnisurkunde über die von dem Notar festgestellten Tatsachen errichtet wird. Das Nachlassverzeichnis wird nicht verlesen, einen Beurkundungstermin gibt es nicht. Es liegt deswegen fern, dass ein schutzwürdiges Interesse besteht, bei dieser Tatsachenbescheinigung, die über das Ausdrucken eines Dokuments samt Unterschriftsleistung nicht hinausgeht, anwesend zu sein. Ein allein darauf gerichtetes Verlangen wäre jedenfalls dann zurückzuweisen, wenn, wie hier, ein vorheriger Besprechungstermin stattfand, bei dem der Auskunftsgläubiger zugegen sein und sich äußern konnte.

Dem Auskunftsgläubiger steht bei den einzelnen (sonstigen) Ermittlungshandlungen des Notars auch kein Anwesenheitsrecht zu. Selbst wenn sich die praktische Frage lösen ließe, dass der Notar dann vor jeder einzelnen Ermittlungshandlung (Durchsicht von Unterlagen, Erstellen und Versenden von Anschreiben, telefonische Einholung von Auskünften, etc.) dem Auskunftsgläubiger rechtzeitig mehrere Terminvorschläge unterbreiten müsste, wie dies teilweise gefordert wird, liefe dies dem Zweck des notariellen Nachlassverzeichnisses, dem Gläubiger schnell einen umfassenden Überblick über den Nachlass zu verschaffen, zuwider, ohne dass ein solches Vorgehen für den Pflichtteilsberechtigten Vorteile hätte, da er weder ein Mitwirkungsrecht bei einzelnen Handlungen noch ein Einsichtsrecht in Unterlagen hat. Soweit vertreten wird, der Auskunftsgläubiger könne dem Notar bei der Durchsicht der Unterlagen "über die Schulter" schauen, teilt der Senat diese Ansicht nicht.

Im Rahmen des Auskunftsanspruchs gem. § 2314 Abs. 1 BGB besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Vorlage von Belegen. Würde man dem Pflichtteilsberechtigten nun gestatten (und den Notar verpflichten, dies zu ermöglichen), dem Notar bei der Durchsicht von Belegen "über die Schulter" zu schauen, würde der nicht bestehende Anspruch auf Belegvorlage faktisch leerlaufen. Hinzu kommt, dass durch Offenlegung der Kontounterlagen des Erblassers gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten schwerwiegend in das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers eingegriffen wird, indem dem Pflichtteilsberechtigten Informationen zugänglich gemacht werden, an deren Geheimhaltung der Erblasser auch nach seinem Tod ein erhebliches Interesse haben kann. Im Gegensatz zum Notar, der der der Amtsverschwiegenheit unterliegt, sofern keine Pflichtteilsrelevanz gegeben ist (§ 18 BNotO), bestünde die Gefahr, dass der Pflichtteilsberechtigte, dem keine Verschwiegenheitspflicht obliegt, die erlangten Informationen auch an Dritte weitergibt.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.12.2024 14:47
Quelle: Bayern.Recht

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