Otto Schmidt Verlag

BGH v. 23.10.2024 - XII ZB 576/23

beA: Zur Übertragung der Anfertigung einer Rechtsmittelschrift durch das angestellte Büropersonal

Hat der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, ist er verpflichtet, das Arbeitsergebnis vor Versendung über das beA sorgfältig auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Dazu gehört auch die Prüfung, ob das für die Entgegennahme der Rechtsmittelschrift zuständige Gericht richtig bezeichnet ist. Reicht ein Beteiligter eine Rechtsmittelschrift bei einem unzuständigen Gericht ein, so entspricht es regelmäßig dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterliche Verfügung der Weiterleitung des Schriftsatzes an das zuständige Gericht am darauffolgenden Werktag umsetzt (im Anschluss an BGH v. 20.4.2023 - I ZB 83/22, ZIP 2023, 1614). Geht ein fristgebundener Schriftsatz erst einen (Werk-)Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten daher regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung des Schriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim zuständigen Gericht geführt hat.

Der Sachverhalt:
Der Antragsgegner begehrt Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde. Das AG verpflichtete den Antragsgegner in einer vom Verbund abgetrennten Folgesache unter Abweisung des weitergehenden Antrags, an die Antragstellerin einen Zugewinnausgleich i.H.v. rd. 710.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Dieser Beschluss wurde dem Antragsgegner am 1.9.2023 zugestellt. Am 29.9.2023 (Freitag) ging um 8:58 Uhr beim OLG eine Beschwerdeschrift ein, die ausweislich des Prüfvermerks mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners versehen ist. Am selben Tag forderte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des OLG die Akte beim AG an und übersandte dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners eine Eingangsbestätigung. Mit taggleich ausgeführter Verfügung vom 2.10.2023 (Montag) ordnete die Vorsitzende Richterin des zuständigen Senats die Übersendung der Beschwerdeschrift an das AG an. Dort ging die Rechtsmittelschrift auf dem Postweg am 4.10.2023 ein.

Am 10.10.2023 wurde der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass die Beschwerde unzulässig sei, weil sie nicht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist beim AG eingegangen sei. Daraufhin beantragte der Antragsgegner am 13.10.2023 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führte zur Begründung aus, sein Verfahrensbevollmächtigter habe sich in der Zeit vom 27.9. bis zum 9.10.2023 im Urlaub befunden. Noch vor Urlaubsantritt habe er gegenüber seiner langjährigen und stets zuverlässigen Mitarbeiterin verfügt, gegen den Beschluss des AG fristgerecht Beschwerde einzulegen. Dies beinhalte auch, dass die Beschwerde beim zuständigen Gericht eingelegt werde. Gleichwohl sei die Beschwerde fehlerhaft an das OLG geschickt worden. Zudem hätten zwischen der am 29.9.2023 um 9:52 Uhr versandten Eingangsbestätigung des OLG und dem Ablauf der Beschwerdefrist anderthalb Werktage gelegen. Es sei somit mehr als genug Zeit gewesen, um die Zuständigkeit zu prüfen und die Beschwerdeschrift noch innerhalb der Beschwerdefrist im Wege des ordentlichen Geschäftsgangs elektronisch an das AG weiterzuleiten. Keinesfalls habe das OLG den Schriftsatz auf dem Postweg weiterleiten dürfen, weil ihm hätte bewusst sein müssen, dass er auf diesem Weg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht fristgerecht beim AG eingehen würde. Das für das Beschwerdeverfahren ohnehin zuständige OLG habe eine deutlich erhöhte prozessuale Fürsorgepflicht getroffen. Diese hätte es geboten, dem Antragsgegner zumindest mitzuteilen, dass die Beschwerdeschrift fälschlicherweise an das OLG geschickt worden sei und von dort ein rechtzeitiger Eingang des weitergeleiteten Schriftsatzes beim AG nicht sichergestellt werden könne.

Mit Schreiben vom 3.11.2023 wurde der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeschrift nach seinem eigenen Vorbringen nicht von seinem Verfahrensbevollmächtigten, sondern von dessen Mitarbeiterin "unterzeichnet" worden sei. Die Beschwerde sei somit nicht wirksam eingelegt worden und daher unzulässig. Der Antragsgegner erwiderte hierauf, es sei klar und auch nach außen erkennbar gewesen, dass der Schriftsatz im Namen seines Verfahrensbevollmächtigten habe eingereicht werden sollen.

Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet zurück und verwarf die Beschwerde als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Es kann dahinstehen, ob das OLG zutreffend angenommen hat, dass die Beschwerde schon nicht wirksam eingelegt wurde, weil die Beschwerdeschrift nicht vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners selbst, sondern von dessen Kanzleimitarbeiterin mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Rechtsanwalts versehen worden sei. Denn das OLG hat die Beschwerde jedenfalls deshalb zu Recht für unzulässig erachtet, weil sie nicht fristgerecht eingelegt worden ist. Die Beschwerdeschrift ist nicht innerhalb der am 2.10.2023 abgelaufenen Beschwerdefrist beim AG eingegangen (§§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG).

Das OLG ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt sind, weil die Beschwerdefrist nicht unverschuldet i.S.v. § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 233 Satz 1 ZPO versäumt ist. Vielmehr beruht dieses Versäumnis auf einem dem Antragsgegner nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten. Dieses Verschulden ist auch ursächlich für die Fristversäumung geworden.

Hat der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, ist er verpflichtet, das Arbeitsergebnis vor Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach sorgfältig auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Dazu gehört auch die Prüfung, ob das für die Entgegennahme der Rechtsmittelschrift zuständige Gericht richtig bezeichnet ist. Das OLG hat richtig erkannt, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners hier diesen Sorgfaltsanforderungen nicht genügt hat. Bei sorgfältiger Überprüfung der Beschwerdeschrift hätte er die fehlerhafte Adressierung der Beschwerdeschrift an das OLG bemerken und die Angabe des AG als Empfänger veranlassen müssen.

Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die weitere Annahme des OLG, das Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten sei auch ursächlich für die Versäumung der Beschwerdefrist geworden. Das OLG hat dem Antragsgegner den Zugang zur Beschwerdeinstanz nicht in unzumutbarer Weise erschwert. Das unzuständige Gericht ist nicht verpflichtet, dem zuständigen Gericht den fristgebundenen Schriftsatz unter höchster Beschleunigung zukommen zu lassen. Im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs ist üblicherweise damit zu rechnen, dass eine bei der zuständigen Geschäftsstelle eingegangene Rechtsmittelschrift dem zuständigen Richter am nächsten Werktag vorgelegt wird. Es kann nicht erwartet werden, dass die richterliche Verfügung der Weiterleitung der Rechtsmittelschrift noch am selben Tag zur Geschäftsstelle gelangt und dort ausgeführt wird. Vielmehr entspricht es dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterlich verfügte Weiterleitung am darauffolgenden Werktag umsetzt (vgl. BGH v. 20.4.2023 - I ZB 83/22, ZIP 2023, 1614). Geht ein fristgebundener Schriftsatz erst einen (Werk-)Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten daher regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung des Schriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim zuständigen Gericht geführt hat.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | FamFG
§ 63 Beschwerdefrist
Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022

Kommentierung | FamFG
§ 64 Einlegung der Beschwerde
Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 05.12.2024 15:59
Quelle: BGH online

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