OLG Bamberg v. 20.11.2024 - 2 WF 121/24 e
Nebenklageanschluss eines minderjährigen Kindes im Strafverfahren gegen Vater bei gemeinsamer elterlicher Sorge
Im Einzelfall können nicht nur hinsichtlich des wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes angeklagten sorgeberechtigten Elternteils, sondern auch bezüglich des mitsorgeberechtigten anderen Elternteils wegen erheblichen Interessengegensatzes die Voraussetzungen des § 1789 Abs. 2 S. 4 BGB gegeben sein.
Der Sachverhalt:
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war die Vertretungsbefugnis der Kindsmutter für die Entscheidung des 14-jährigen Kindes, ob es sich dem gegen seinen Vater geführten Strafverfahren wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes als Nebenklägerin anschließt. Das AG hat am 15.7.2024 für das Kind eine Verfahrensbeiständin bestellt. Diese hat die Anordnung einer Pflegschaft befürwortet. Die Kindsmutter hat sich mit ergänzender Begründung dafür ausgesprochen, nur dem Kindsvater die elterliche Sorge betreffend Entscheidungen zur Nebenklage zu entziehen.
Das AG hat daraufhin für das Kind eine Ergänzungspflegschaft für den Aufgabenkreis der Prüfung des Anschlusses als Nebenklägerin im Strafverfahren gegen den Vater und gegebenenfalls zur Vertretung der Nebenklage im Strafverfahren angeordnet. Als Ergänzungspfleger hat es das Jugendamt bestimmt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Entziehung der Vertretungsmacht für beide Elternteile zu erfolgen habe, da ein erheblicher Gegensatz zwischen den Interessen des Kindes und denen beider Eltern nicht ausgeschlossen werden könne.
Die Kindsmutter war der Ansicht, es liege kein erheblicher Interessengegensatz zwischen der Mutter und dem Kind in Bezug auf den Anschluss als Nebenklägerin vor, der eine teilweise Entziehung der elterlichen Sorge auch für die Kindsmutter rechtfertige. Das AG hat der Beschwerde der Kindsmutter nicht abgeholfen. Das OLG hat die Beschwerde gegen den Beschluss zurückgewiesen.
Die Gründe:
Das AG hat im Ergebnis zu Recht für die Wahrnehmung der Rechte der Nebenklage für das betroffene Kind einen Ergänzungspfleger bestellt.
Maßgeblich für die partielle Errichtung der Pflegschaft ist die Frage, ob ein erheblicher Interessengegensatz tatsächlich besteht oder zumindest ernsthaft droht, §§ 1809 Abs. 1, 1789 Abs. 2 Satz 4 BGB. Dabei ist die Interessenkollision für jeden Elternteil einzeln zu prüfen. Vorliegend war bezogen auf den konkreten Einzelfall ein derartiger Gegensatz auch hinsichtlich der Interessen der Kindsmutter und des Kindes gegeben.
Im Einzelfall können nicht nur hinsichtlich des wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes angeklagten sorgeberechtigten Elternteils, sondern auch bezüglich des mitsorgeberechtigten anderen Elternteils wegen erheblichen Interessengegensatzes die Voraussetzungen des § 1789 Abs. 2 S. 4 BGB gegeben sein (im Anschluss an und in Ergänzung zu Senat, 16.3.2020 – 2 UF 27/20). Dies kann etwa vorliegen, wenn der angeklagte Kindsvater erstinstanzlich freigesprochen wurde, das mit dem Tatvorwurf konfrontierte jugendliche Kind in einem eventuellen Berufungsverfahren Angaben machen und mit dem angeklagten Kindsvater Umgang haben will und ein Nebenklageinteresse selbst nicht bekundet, die Kindsmutter aber im Strafverfahren umfangreich zur Fehlerhaftigkeit des freisprechenden Urteils und der Erforderlichkeit der Berufungseinlegung vorträgt und die Durchführung des Berufungsverfahrens eine erhebliche Belastung des Kindes durch eine dann erforderliche Begutachtung desselben erwarten lässt, was der Kindsmutter bewusst ist.
Der Senat sah zudem auch die Bedenken der Verfahrensbeiständin im Hinblick auf einen möglichen Loyalitätskonflikt des Kindes für beachtlich, wenn dieses versucht, einerseits den Erwartungen der Mutter hinsichtlich der Beteiligung im Strafverfahren gerecht zu werden, andererseits durch das eigene Verhalten maßgeblich am Ergebnis des gegen den Vater geführten Verfahrens beteiligt ist. Hier kann die Einschaltung eines neutralen Ergänzungspflegers eine Entlastung schaffen.
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