Otto Schmidt Verlag

OLG Frankfurt a.M. v. 1.8.2024 - 6 UF 117/24

Kindeswohlprüfung bei Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes auf einen Elternteil

Für die Beantwortung der Frage, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zuzuweisen ist, ist allein das Kindeswohl entscheidend. Bei der nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB vorzunehmenden positiven Kindeswohlprüfung sind vornehmlich die Kriterien der Erziehungsfähigkeit der Eltern, die Bindungen und Beziehungen des Kindes, die Kontinuität und Stabilität der kindlichen Lebensbedingungen und der Kindeswille zu berücksichtigen. Dabei stehen die genannten Kriterien nicht kumulativ nebeneinander.

Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind die nicht miteinander verheirateten Eltern eines 4-jährigen Jungen. Die Kindeseltern hatten sich bereits ca. sechs Monate nach der Geburt des Jungen getrennt. Der Sohn lebte seitdem im Haushalt der Mutter und deren Großeltern, die die Kindesmutter bei der Betreuung unterstützten. Die Mutter arbeitet in Vollzeit in einem Krankenhaus. Der Junge besuchte bisher weder eine Kinderkrippe noch einen Kindergarten und versteht und spricht die deutsche Sprache kaum. Der Vater lebt in einer anderen Stadt zusammen mit seiner Schwester. Seine Mutter und seine Lebensgefährtin leben ebenfalls in dieser Stadt. Er arbeitet in Vollzeit in einem Logistikunternehmen. Der Umgang des Vaters mit dem Sohn ist gerichtlich geregelt und fand im Umfang der vereinbarten Umgangsregelung statt.

Seit Oktober 2023 hat die Mutter einen neuen Lebensgefährten und plante mit dem Sohn einen Umzug zu diesem in eine andere Stadt. Dort hatte sie eine Arbeitsstelle mit Aufstiegschancen in Aussicht, ebenso einen Kindergartenplatz für den Sohn. Der Vater war mit dem Umzug seines Sohnes nicht einverstanden. Er verwies darauf, dass in seiner Stadt ebenfalls ein Kindergartenplatz zur Verfügung stände. Der Vater hat erstinstanzlich einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich gestellt. Er war der Ansicht, dass eine sehr gute Bindung zwischen ihm und seinem Sohn bestehe, Dieser sei in der Region fest verwurzelt und es sei unklar, ob die Beziehung der Mutter zu dem neuen Lebensgefährten Bestand habe. Er könne die Betreuung auch mit Hilfe seiner Verwandtschaft gewährleisten. Die Mutter könne großzügigen Umgang bekommen.

Die Mutter hat sich dem Antrag entgegengestellt und ihrerseits einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gestellt. Sie hat darauf verwiesen, die Hauptbezugsperson des Kindes zu sein. Sie sei bereits mit ihm und dem neuen Lebensgefährten im Urlaub gewesen. Der Sohn würde sich gut mit diesem verstehen. Das neue Zuhause kenne er auch schon. Sie sei bereit, dem Kindsvater ein großzügiges Umgangsrecht zu gewähren und sich an den Fahrten zu beteiligen.

Das AG hat dem Kindesvater das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen und den Antrag der Kindesmutter zurückgewiesen. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter zurückgewiesen.

Die Gründe:
Das AG hat nach Anhörung der Kindeseltern und des Kindes unter Berücksichtigung der Stellungnahmen von Verfahrensbeiständin und Jugendamt gemäß den maßgeblichen Vorgaben des § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB eine dem Wohl des Kindes am besten entsprechende Entscheidung getroffen.

Das AG hat insofern zu Recht festgestellt, dass die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge für den Teilbereich der Aufenthaltsbestimmung nicht in Betracht kam. Beide Elternteile hatten jeweils für sich in Anspruch genommen, über den Lebensmittelpunkt des Kindes an ihrem Wohnort zu entscheiden. Der Senat vertritt zwar die Auffassung, dass ein Elternstreit um die Aufteilung der Kinderbetreuungszeiten in einem Umgangsverfahren durch Zuweisung der Betreuungszeiten gem. § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB zu entscheiden ist und insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts besteht (OLG Frankfurt, Beschl. v. 19.12.2022 - 6 UF 208/22). Aufgrund der unterschiedlichen Vorstellungen der Eltern über den künftigen Lebensmittelpunkt des Kindes vor dem Hintergrund des bevorstehenden Umzugs der Kindesmutter kam hier aber eine gemeinsame Ausübung des Rechtes zur Aufenthaltsbestimmung für das Kind nicht in Betracht.

Da der elterliche Dissens nicht auf konkrete Betreuungszeiten begrenzt war, konnte der Streit weder unentschieden bleiben noch einer umgangsrechtlichen Lösung zugeführt werden. Für die Beantwortung der Frage, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zuzuweisen ist, ist allein das Kindeswohl entscheidend. Bei der nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB vorzunehmenden positiven Kindeswohlprüfung sind vornehmlich die Kriterien der Erziehungsfähigkeit der Eltern, die Bindungen und Beziehungen des Kindes, die Kontinuität und Stabilität der kindlichen Lebensbedingungen und der Kindeswille zu berücksichtigen. Dabei stehen die genannten Kriterien nicht kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Kindeswohl am besten entspricht. Zudem sind die durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Elternrechte beider Elternteile zu berücksichtigen.

Das AG hat mit zutreffenden Erwägungen der Kontinuität und Stabilität der kindlichen Lebensbedingungen und dem Förderprinzip ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. Hierbei ist es zu Recht davon ausgegangen, dass ein Wechsel des Jungen in den ihm vertrauten Haushalt des Kindesvaters, in dem er nach den Feststellungen der Verfahrensbeiständin routiniert wirkte und sich offensichtlich wohlfühlte, und die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu den Bezugspersonen der väterlichen Familie angesichts des Umzugs der Kindesmutter für das 4 Jahre alte Kind die größtmögliche Kontinuität und Stabilität schafft.

Bei der Abwägung hat das AG nicht unberücksichtigt gelassen, dass die Kindesmutter bisher die Hauptbezugsperson des Kindes war, diesen Umstand aber im Hinblick auf die Feststellungen der Verfahrensbeiständin, des Jugendamts und des Ergebnisses der Anhörung des Kindes, dass auch der Kindesvater eine wichtige Bezugsperson für seinen Sohn ist, zu Recht zurücktreten lassen. Denn mit dem Umzug verliert das Kind bereits mit seinen Urgroßeltern wichtige Bezugspersonen und zieht in eine unbekannte Wohnung und Stadt zu dem ihm erst seit kurzer Zeit bekannten neuen Lebensgefährten der Kindesmutter. Das AG hat insofern zutreffend darauf abgestellt, dass die Beziehung zu dem neuen Lebensgefährten sich erst im Aufbau befindet und die schon länger bestehenden Beziehungen zur Schwester und Großmutter väterlicherseits nicht ersetzen kann.

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Aufsatz
Alexandra Altrogge
Das Eckpunktepapier zum Kindschaftsrecht - der große Wurf oder doch nur ein Flickenteppich? - Teil 2
FamRB 2024, 215
FAMRB0065320

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.08.2024 13:50
Quelle: LaReDa Hessen

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