Otto Schmidt Verlag

Aktuell im FamRB

Internationaler Erwachsenenschutz - Unterstützungsmöglichkeiten durch das Bundesamt für Justiz (Schlauß, FamRB 2024, 344)

Infolge der demografischen Entwicklung, der Zunahme der Anzahl schutzbedürftiger Erwachsener sowie der grenzüberschreitenden Mobilität gewinnen Regelungen zum internationalen Erwachsenenschutz immer mehr an Bedeutung. Auf internationaler Ebene schafft das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen (ESÜ) aus dem Jahr 2000 eine wichtige Rechtsgrundlage. Praktische Unterstützung nach dem Übereinkommen leisten Zentrale Behörden, in Deutschland das Bundesamt für Justiz (BfJ) in Bonn. Einen umfassenden Überblick über das Übereinkommen gibt ein neues Handbuch der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (HCCH). U.a. vor dem Hintergrund der geringen Anzahl der Vertragsstaaten des Übereinkommens hat die EU-Kommission eine Initiative vorgelegt, um alle EU-Mitgliedstaaten zur Ratifikation bzw. zum Beitritt zu dem Übereinkommen zu bewegen und das Übereinkommen durch eine neue EU-Verordnung zu ergänzen.

1. Einleitung
2. Praktische Fallkonstellationen
3. Das Bundesamt für Justiz als deutsche Zentrale Behörde sowie das Internationale Haager Richternetzwerk
4. Unterstützung im Rahmen des ESÜ

a) Internationale Zuständigkeit
b) Anwendbares Recht
c) Anerkennung und Vollstreckung
d) Grenzüberschreitende Unterbringungen
5. Aktueller EU-Legislativ-Vorschlag
6. Fazit


1. Einleitung

Aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung, der bei älteren Menschen häufig nachlassenden geistigen und psychosozialen Fähigkeiten sowie der steigenden Zahl von Menschen mit Behinderungen benötigen immer mehr Erwachsene rechtlichen Schutz oder Rechtsbeistand, um ihre persönlichen oder finanziellen Interessen wahrnehmen zu können. Die zunehmende Schutzbedürftigkeit Erwachsener führt in Verbindung mit erhöhter Mobilität zu einer steigenden Anzahl grenzüberschreitender Sachverhalte mit betreuungsrechtlichen Bezügen, etwa wenn eine unter Betreuung stehende Person in einen anderen Staat umzieht, Vermögenswerte oder Immobilien in einem anderen Land zu verwalten sind oder medizinische Behandlungen im Ausland durchgeführt werden müssen. Allein innerhalb der EU wird – ausgehend von über 27 Mio. schutzbedürftigen Erwachsenen sowie rund 5 Mio. Menschen, für die eine gerichtliche Schutzmaßnahme ergriffen wurde – die Zahl der in grenzüberschreitenden Sachverhalten betroffenen schutzbedürftigen Erwachsenen auf 145.000 bis 780.000 geschätzt. Dabei stellt sich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten regelmäßig die Frage, welches Gericht international zuständig ist, welches Recht zur Anwendung kommt und ob ausländische Betreuungsmaßnahmen oder eine ausländische Vertretungsmacht im Inland anerkannt werden können. Das Haager Übereinkommen vom 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen (Haager Erwachsenenschutzübereinkommen – ESÜ) schafft hierfür einen internationalen Rechtsrahmen. Dessen Möglichkeiten werden in der Praxis nicht immer hinreichend gesehen bzw. ausgeschöpft. Es ist auch nur sehr wenig einschlägige Rechtsprechung veröffentlicht. Das Übereinkommen hat derzeit 16 Vertragsparteien, davon 13 EU-Mitgliedstaaten sowie die Schweiz, Monaco und das Vereinigte Königreich in Bezug auf Schottland. Für die Bundesrepublik Deutschland ist das Übereinkommen seit dem 1.1.2009 in Kraft. Ebenso gilt für Deutschland seit 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention. Deren Vorgaben trägt die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum 1.1.2023 Rechnung und stärkt die Selbstbestimmung und Privatautonomie von betreuten Menschen. Bundesweit stehen etwa 1,3 Mio. Menschen unter Betreuung. Über 6 Mio. Menschen haben Vorsorgeangelegenheiten im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer registriert.

2. Praktische Fallkonstellationen
Das ESÜ dient dem Schutz der persönlichen und wirtschaftlichen Interessen von Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, und die aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen (Art. 1 ESÜ). Einen beispielhaften, nicht abschließenden Katalog der erfassten Schutzmaßnahmen enthält Art. 3 ESÜ. Hierunter fällt insbesondere die deutsche Betreuung. In der Praxis relevante Sachverhalte mit grenzüberschreitenden Bezügen im Anwendungsbereich des Übereinkommens können beispielsweise wie folgt aussehen:

  • Eine in Deutschland unter Betreuung stehende Person zieht nach Österreich um. Das zuvor zuständige deutsche Betreuungsgericht fragt sich, was zu veranlassen ist bzw. wie die Schutzmaßnahmen im Zusammenwirken mit den österreichischen Stellen koordiniert werden können.
  • Während einer Reise von Frankreich nach Deutschland benötigt die unter Betreuung stehende französische Staatsangehörige plötzlich eine medizinische Behandlung. Das deutsche Betreuungsgericht prüft, ob es einen vorläufigen Betreuer bestellen kann und wie die zuständigen französischen Stellen unterrichtet werden können.
  • Für einen in Spanien lebenden deutschen Rentner ist im Nachgang zu einem Erbfall in Deutschland die Einrichtung einer Betreuung zu prüfen. Wie kann dies angestoßen werden?
  • Eine unter Betreuung stehende Person hat Vermögen und Eigentum in der Schweiz. Wie kann der inländische Betreuer seine Betreuereigenschaft in der Schweiz nachweisen und ein dortiges Bankkonto auflösen oder Eigentum des Betreuten verkaufen?
  • Eine im Inland unter Betreuung stehende Person soll in einem grenznahen Heim in Tschechien untergebracht werden. Es stellt sich die Frage, wie dies koordiniert werden kann und welche Gerichte im Folgenden international zuständig sind.

3. Das Bundesamt für Justiz als deutsche Zentrale Behörde sowie das Internationale Haager Richternetzwerk
Wie in anderen Haager Übereinkommen fördern auch im Rahmen des ESÜ Zentrale Behörden die Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten (Art. 28 ESÜ).

Beraterhinweis
Deutsche Zentrale Behörde ist das Bundesamt für Justiz (BfJ) in Bonn (§ 1 ESÜAG). Es arbeitet mit den Zentralen Behörde der anderen Vertragsstaaten zusammen und verkehrt unmittelbar mit allen zuständigen Stellen im In- und Ausland (§ 4 ESÜAG). Es fördert die Zusammenarbeit der in Deutschland mit Erwachsenenschutzangelegenheiten befassten Behörden untereinander und mit den entsprechenden Stellen in den übrigen Vertragsstaaten. Es leistet praktische Unterstützung in konkreten Einzelfällen. So leitet es Ersuchen und Mitteilungen an die jeweils zuständige in- oder ausländische Stelle weiter. Das BfJ als Zentrale Behörde wird grundsätzlich kostenfrei tätig (Art. 36 ESÜ).

Zu den Schwerpunkten des BfJ als deutsche Zentrale Behörde zählen die folgenden Aufgaben:

...

 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.08.2024 16:11
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite