Otto Schmidt Verlag

AG Frankenthal v. 18.1.2024 - 71 F 214/23

Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf ein Elternteil

Der Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf ein Elternteil steht die Erteilung einer umfassenden Sorgerechtsvollmacht durch den anderen Elternteil nicht entgegen, wenn den Eltern die für die Ausübung der Vollmacht erforderliche Kommunikationsfähigkeit oder -bereitschaft fehlt.

Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind getrenntlebende Eheleute. Das Scheidungsverfahren ist derzeit noch anhängig. Aus der Ehe sind drei minderjährige Kinder hervorgegangen. Die Eltern üben das Sorgerecht bislang gemeinsam aus. Zwischen den Beteiligten waren bereits diverse andere Familienverfahren anhängig. Seit ungefähr eineinhalb Jahren kommunizieren die Eltern praktisch nicht mehr miteinander. Zuvor gab es in der Zeit des gemeinsamen Zusammenlebens immer wieder heftige Auseinandersetzungen, die teilweise in gewalttätigen Übergriffen endeten. Unstreitig hat der Antragsgegner die Antragstellerin hierbei u. a. geschlagen und im Beisein der Kinder demonstrativ den Weihnachtsbaum der Familie umgeworfen. Diverse andere eskalierende Umstände und die genauen Hergänge und Verursachungsbeiträge sind zwischen den beteiligten Eltern streitig. Im Anhörungstermin hat der Antragsgegner die Antragstellerin umfänglich hinsichtlich der elterlichen Sorge bevollmächtigt. Die Antragstellerin begehrt dennoch die Übertragung der elterlichen Sorge auf sich.

Das AG hat die gemeinsame elterliche Sorge aufgehoben. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Die Gründe:
Gründe für die Aufhebung der gemeinsamen Sorge liegen dann vor, wenn die im Rahmen gemeinsamer Sorge notwendige Konsensfindung unüberwindbaren Hindernissen begegnet. Ist das Verhältnis der Eltern von Gewaltanwendung eines Elternteils gegenüber dem anderen gekennzeichnet und hat dies negative Auswirkungen auf das Kind, so entspricht die Fortsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht mehr dem Kindeswohl (BVerfG FamRZ 2004, 354). Unabhängig davon muss aber für die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge eine objektive Kooperationsfähigkeit und subjektive Kooperationsbereitschaft der Eltern vorliegen. Eine solche Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft ist vor allem dann anzunehmen, wenn zu erwarten ist, dass beide Elternteile in Sorgeangelegenheiten von erheblicher Bedeutung verständigungsbereit zusammenarbeiten können und wollen und bei ihnen ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge besteht.

Angesichts dieses Maßstabs ist die gemeinsame elterliche Sorge hier aufzuheben. Insofern ist zunächst zu beachten, dass, auch, wenn diese Umstände bereits einige Zeit zurückliegen, die Trennungsgeschichte der Eltern von eskalierenden, teils gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt ist. Diese Auseinandersetzungen haben sich auch deutlich negativ auf das Kindeswohl insofern ausgewirkt, als die Kinder dabei teilweise anwesend waren und gewalttätige Übergriffe jedenfalls des Vaters auf die Mutter miterleben mussten. Wie sich aus den Schilderungen ergibt, sind diese Eindrücke auch bis heute noch nicht überwunden. Die genaue Aufklärung dieser Vorfälle im hiesigen Verfahren ist nicht angezeigt, da Sorgerechtsverfahren keinen sanktionierenden Charakter haben und es daher nicht maßgeblich auf Hergänge und Verursachungsbeiträge im Einzelnen ankommt. Unabhängig hiervon ist aber ohnehin unstreitig, dass eine kommunikative Basis zwischen den Eltern bereits seit mehr als einem Jahr überhaupt nicht mehr besteht. Die Mutter lehnt die Kommunikation mit dem Vater mittlerweile ganz überwiegend ab. Die Kommunikationsweise des Vaters ist, wie nunmehr im Rahmen der persönlichen Anhörungen durch das Gericht in den diversen Verfahren und den Gesprächen des Antragsgegners mit dem Verfahrensbeistand immer wieder zum Ausdruck gekommen ist, regelmäßig von verbalen Übergriffen und Integritätsverletzungen geprägt. Gelang es dem Antragsgegner im Rahmen der gerichtlichen Anhörungen regelmäßig noch, zumindest nach entsprechender Ermahnung, sich an die grundlegenden, gängigen Gesprächsregeln zu halten und sein impulsives Missfallen lediglich durch Grimassieren zum Ausdruck zu bringen, so ist dies außerhalb des Gerichtssaals häufig nicht der Fall. Zwar erklärt der Antragsgegner zur derartigen Ausdrucksweise regelmäßig auch, dass es sich nicht um seinen Ernst handele, sondern um Metaphern, Sarkasmus o. ä. Ihm fehlt dabei allerdings jegliches Einfühlungsvermögen für die Tatsache, dass derartige Äußerungen von anderen Menschen durchaus als bedrohlich und übergriffig wahrgenommen werden können und insbesondere im Hinblick auf die Erlebnisse der Vergangenheit die derartige Kommunikation des Antragsgegners für die Antragstellerin kaum mehr als zumutbar erscheint.

Die zwischen den Eltern offensichtlich bestehenden Spannungen dürften nach aller Erwartung auch fortbestehen, da nicht ersichtlich ist, dass der Antragsgegner, etwa mit Hilfe Dritter, an seinen Verhaltens- und Kommunikationsweisen arbeiten würde und die Antragstellerin andererseits mittlerweile die Kommunikation mit dem Antragsgegner auf das Allermindeste reduziert hat. Es ist daher nicht zu erwarten, dass es den Eltern künftig gelingen wird, gemeinsam im Rahmen kommunikativer Prozesse zu kindeswohlverträglichen Lösungen im Rahmen einer gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge zu gelangen. Soweit aus der derzeitigen Spannungssituation nicht bereits eine Belastung der Kinder resultiert, steht jedenfalls zu befürchten, dass es künftig zu einer Belastung kommen wird. Exemplarisch kann insofern auch auf die Vielzahl der zwischen den Beteiligten bereits geführt Verfahren und die sich hieraus ergebende negative Zukunftsprognose verwiesen werden (vgl. hierzu dem Grunde nach auch OLG Düsseldorf FamRZ 2018, 693).

Es entspricht dem Kindeswohl am besten, die elterliche Sorge auf die Mutter alleine zu übertragen.

Die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Antragstellerin wird vorliegend auch nicht dadurch entbehrlich, dass der Antragsgegner der Antragstellerin im Termin vom 11.1.2024 letztlich eine umfangreiche Sorgerechtsvollmacht erteilt hat.

Zwar hat der BGH entschieden, dass auch die Bevollmächtigung des mit sorgeberechtigten Elternteils einer andernfalls notwendigen Übertragung des Sorgerechts ganz oder teilweise entbehrlich machen kann, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Insofern ist allerdings nach der Rechtsprechung des BGH eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern erforderlich, soweit eine solche auch unter Berücksichtigung des durch die Vollmacht erweiterten Handlungsspielraums des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist. Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft sind demnach auch nach dem Erteilen einer Sorgerechtsvollmacht durch das Familiengericht festzustellen.

Vorliegend kann beides - Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft der Eltern - nicht positiv festgestellt werden. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass einerseits nach deren ausdrücklich erklärten Willen derzeit auf Seiten der Mutter die Kooperationsbereitschaft, andererseits nach dem Verhalten, welches der Antragsgegner bis zuletzt gezeigt hat, diesem die Kooperationsfähigkeit fehlt. Zwar hat der Antragsgegner seinen mutmaßlichen Kooperationswillen dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er der Antragstellerin im Termin eine Sorgerechtsvollmacht erteilt hat. Dies erfolgte allerdings nur nach intensivem Zureden durch das Gericht einerseits und seiner Verfahrensbevollmächtigten andererseits und unter dem Druck der im Übrigen eindeutigen, zu seinen Lasten sprechenden Verfahrenssituation. Ein echtes Einsehen vorausgesetzt, wäre es dem Antragsgegner unbenommen geblieben, eine solche Vollmacht bereits im Vorfeld außergerichtlich zu erteilen und den Beteiligten so das Verfahren gänzlich zu ersparen. Zumindest auf die entsprechen Hinweise und Belehrungen des Verfahrensbeistands hätte dem Antragsgegner zuletzt eine solche Erkenntnis kommen können. Das Gericht geht in der Zusammenschau der sich aus den vorliegenden Verfahren der Familie ergebenden Verhaltensweisen, den Erfahrungen mit dem Verhalten des Antragsgegners in den zahlreichen Terminen und den Schilderungen von Jugendamt, Verfahrensbeistand und den Beteiligten selbst davon aus, dass es dem Antragsgegner derzeit schlicht an der erforderlichen Kooperationsfähigkeit fehlt. Insbesondere fehlt dem Antragsgegner in wesentlichen Punkten ein Einsehen in eigenes Fehlverhalten in der Vergangenheit, jegliche Empathie für Ängste oder negative Umstände, die der Antragsgegner mit seinem eigenen Verhalten ausgelöst haben könnte, etc. Vor diesem Hintergrund teilt das Gericht die Auffassung des Verfahrensbeistands, wonach es der Antragstellerin momentan nicht zugemutet werden könne, gemeinsam mit dem Antragsgegner die elterliche Sorge auszuüben, sei es auch nur insofern, dass dem Antragsteller die durch die Vollmachterteilung erhaltenen Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse verbleiben. Eine Kooperation des bevollmächtigten Elternteils setzt voraus, dass dieser ohne Angst in einen persönlichen Kontakt zum Antragsgegner eintreten kann (vgl. OLG Dresden FamRZ 2022, 1201). Das ist hier nach den bestehenden Erkenntnissen derzeit nicht der Fall.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Von der gemeinsamen zur alleinigen Sorge - von der alleinigen zur gemeinsamen Sorge
FuR 2024, 210

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.05.2024 10:36
Quelle: AG Frankenthal  PM vom 24.5.2024

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