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Das Eckpunktepapier zum Kindschaftsrecht – der große Wurf oder doch nur ein Flickenteppich? - Teil 2 (Altrogge, FamRB 2024, 215)

Im zweiten Teil des kritischen Beitrags der Verfasserin zum Eckpunktepapier des BMJ zur Reform des Kindschaftsrechts geht es um sofort vollstreckbare Vereinbarungen zum Umgang, die Stärkung der Kinderrechte, insb. die Mitentscheidungsbefugnis von Kindern ab 14 Jahren, den Schutz vor häuslicher Gewalt und deren Auswirkungen auf das Sorge- und Umgangsrecht.

III. Das Eckpunktepapier – Darstellung und Diskussion
...
3. Sofort Vollstreckbare Vereinbarungen zum Umgang
4. Stärkung von Kinderrechten
a) Recht auf Umgang
b) Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung
c) Mitentscheidungsbefugnis von Kindern
5. Schutz vor häuslicher Gewalt
a) Ermittlungspflicht
b) Partnerschaftsgewalt und Sorgerecht
c) Partnerschaftsgewalt und Umgangsrecht
IV. Fazit und Ausblick


III. Das Eckpunktepapier – Darstellung und Diskussion

Im ersten Beitragsteil (Altrogge, FamRB 2024, 162) wurden zunächst die Ausgangslage des Eckpunktepapiers (1) und sodann die Reformvorschläge im Bereich (2) partnerschaftliche Betreuung thematisiert. Es folgen nunmehr die (im Papier eher beiläufig erwähnte) sofort vollstreckbare Vereinbarung zum Umgang (3), die (4) Stärkung von Kinderrechten und der (5) Schutz vor häuslicher Gewalt.

3. Sofort Vollstreckbare Vereinbarungen zum Umgang
Durch die Reform sollen sofort vollstreckbare außergerichtliche Vereinbarungen zwischen den Kindeseltern über die Betreuung der Kinder möglich werden. Die Möglichkeit, sich mit einer Beurkundung der sofortigen Vollstreckung unterwerfen zu können, soll geschaffen werden, um so im Streitfall die Durchsetzung der Umgangsvereinbarung durch einen Elternteil gegen den anderen zu ermöglichen. Zudem wird die Klarstellung angestrebt, dass Vereinbarungen über eine Gegenleistung oder eine Vertragsstrafe im Zusammenhang mit Umgangsvereinbarungen unzulässig sind.

Dieser Reformvorschlag begegnet erheblichen Bedenken. Die Vollstreckung einer Umgangsentscheidung richtet sich aktuell nach § 89 FamFG. Dieser Paragraph wurde durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeführt. Vormals richtete sich die Vollstreckung einer Umgangsentscheidung nach § 33 FGG. Hier war vor der Vollstreckung eine Androhung des Zwangsmittels erforderlich. Jeder einzelnen Festsetzung musste eine eigene Androhung vorausgehen. Dieser Zwischenschritt der „Androhung“ ist im Rahmen des FamFG entfallen. Nach § 89 FamFG kann das Gericht (sofort und ohne Androhung) bei Zuwiderhandlungen gegen einen Vollstreckungstitel Ordnungsmittel anordnen. Im Gegensatz zu § 33 FGG (a.F.) handelt es sich bei § 89 FamFG nicht mehr um Zwangs‑, sondern um Ordnungsmittel. Daraus folgt, dass Festsetzung und Vollstreckung auch dann noch erfolgen können, wenn die zu vollstreckende Handlung nicht vorgenommen worden ist. Vormals waren die Zwangsmittel als Beugemittel ohne Strafsanktion ausgestaltet. Erst mit dem FamFG und der Umwandlung der Zwangsmaßnahmen nach § 33 FGG in Ordnungsmaßnahmen nach § 89 FamFG ergibt sich ein Sanktionscharakter. Das Gericht hat nach § 89 Abs. 2 FamFG grundsätzlich bereits im Rahmen des Beschlusses, der die Regelung des Umgangs anordnet, auf die Folgen einer Zuwiderhandlung gegen den Vollstreckungstitel hinzuweisen. Die Androhung gem. § 89 Abs. 2 FamFG richtet sich sowohl an den betreuenden Umgangselternteil als auch an den umgangsberechtigten und -verpflichteten Elternteil. Durch diese Belehrung soll dem Verpflichteten verdeutlicht werden, dass der Verstoß gegen diesen Titel zur Festsetzung einer Vollstreckungsmaßnahme führen kann.

Beraterhinweis
Soweit die Kindeseltern also eine vollstreckbare Vereinbarung über das Umgangsrecht treffen können sollen, muss die in § 89 Abs. 2 FamFG enthaltene Warn- und Belehrungsfunktion gewährleistet sein. Für eine Vollstreckung wäre damit in jedem Fall eine gerichtsfeste Dokumentation erforderlich.

Auch im Vollstreckungsverfahren ist das Wohl des Kindes von zentraler Bedeutung. Grundsätzlich wird das Kindeswohl im Rahmen der Entscheidung im Erkenntnisverfahren geprüft und berücksichtigt. Die erneute Prüfung des Kindeswohls im Vollstreckungsverfahren ist nicht vorgesehen. Damit darf nicht im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens das Erkenntnisverfahren und die dort getroffene Entscheidung überprüft werden. Dies obliegt der Rechtsmittelinstanz. Soweit allerdings nach der gerichtlichen Umgangsentscheidung neue Umstände hinzugetreten sind, können diese der Vollstreckung zur Wahrung des Kindeswohls entgegenstehen, wenn darauf ein zulässiger Antrag auf Abänderung des Ausgangstitels und auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 93 Abs. 1 Nr. 4 FamFG gestützt werden kann. In einem solchen Fall kann das Gericht von Amts wegen ein Abänderungsverfahren einleiten und gem. § 93 Abs. 1 Nr. 4 FamFG die Vollstreckung des ursprünglichen Titels einstellen. Das Vollstreckungsverfahren ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Umgangsabänderungsverfahren gem. § 21 FamFG wegen Vorgreiflichkeit auszusetzen. Im Ergebnis kann jedenfalls hinsichtlich der dem Kindeswohl entgegenstehenden Umstände keine Präklusionswirkung eintreten.

Es stellt sich die Frage, wie all dies im Rahmen einer Reform berücksichtigt bzw. gelöst werden soll. Soweit es zum Streit zwischen den Kindeseltern kommt, ist die Argumentation zu erwarten, dass die getroffene Regelung von Anfang an nicht mit dem Kindeswohl vereinbar gewesen sei oder jedenfalls später das Kindeswohl betreffende Umstände hinzugekommen seien, die es zu berücksichtigen gelte. Dies kann und darf durch ein Familiengericht – das noch nicht einmal die der Vollstreckung zugrunde liegende Entscheidung getroffen hat und dem damit die familiären Umstände völlig unbekannt sind – nicht ignoriert werden, so dass von Amts wegen ein Abänderungsverfahren einzuleiten sein und die Vollstreckung einstweilen einzustellen sein dürfte. Damit stellt sich allerdings die Frage, in welchen Fällen...


Teil I:

I. Kindschaftsrechtsreform von 1998
II. Grundlagen: Ist-Zustand und Koalitionsvertrag
III. Das Eckpunktepapier – Darstellung und Diskussion

1. Ausgangslage
2. Partnerschaftliche Betreuung
a) Wechselmodell
b) Sorgerecht in nichtehelicher Lebensgemeinschaft
c) Alleinentscheidungsbefugnis
d) Vereinbarungen zwischen den Eltern zum Sorgerecht
e) Kleines Sorgerecht
f) Vereinbarungen über das Umgangsrecht
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.05.2024 10:48
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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